Ausstieg
ohne Abschied
"Die Yacht" Artikel May 2001
Sie
segeln über die Ozeane, entdecken einsame Inseln und traumhafte Buchten.
Dennoch verlieren sie nie den Kontakt zu den Menschen.
Erika
Ginsberg-Klemmt erzählt, warum für sie und ihren Mann Achim
der
Austausch mit Familie und Freunden (über-)lebenswichtig
ist
1993
beginnt der Blauwassertörn von Erika und Achim Ginsberg-Klemmt. Mit ihrer
Zwölf- Meter-Stahlketsch „Pangaea“ nehmen sie von
Südfrankreich aus Kurs auf Gibraltar. Von dort steuern sie zunächst
Madeira, dann die Kanaren an. Ein Jahr später folgt die Atlantiküberquerung.
Fast ein Jahr lang bleiben sie in Tobago. Ein Motorbrand vernichtet 1994
fast den gesamten Innenausbau ihres Schiffes. Nachdem sie die
Instandsetzungsarbeiten beendet haben, durchkreuzen sie beinahe zwei Jahre
lang die Karibik. 1997 zieht es das Paar nach Norden. Auf dem Intercoastal
Waterway fahren sie bis nach New York. Zurück in Florida, fällt der
Entschluss, in den Pazifik zu segeln. Nach einem unfreiwilligen
Reparaturstopp in Jamaika passieren sie 1998 den Panamakanal. Über die
Galapagos- Inseln und die Marquesas gelangen sie wiederum ein Jahr später
nach Französisch- Polynesien. Bis zum Frühsommer 1999 halten sie sich in
den verschiedensten Winkeln der weit verstreuten Inseln und Atolle auf.
Schließlich segeln sie nach Hawaii, wo im August des gleichen Jahres ihre
Tochter Antonia zur Welt kommt. Derzeit liegt die „Pangaea“ in
Waikiki.
Wer
die Reisen von Erika und Achim Ginsberg- Klemmt verfolgen möchte, findet
Bilder, Videos und Berichte im Internet.
Einsam
und friedlich liegt die „Pangaea“ in der Bucht, umgeben von steil
aufragenden Klippen. Es ist früh am Morgen. Seelöwen spielen ums Boot
herum. Zwischen den Felsen jagen sie Fische in den Wassertümpeln, die die
Ebbe zurückgelassen hat. Weiter oben, dort, wo die ersten Sonnenstrahlen
die Steine aufwärmen, tanken Scharen leuchtend roter Krabben Energie für
den Tag. Im Cockpit genießen wir unser Frühstück. Selbst gemachter
Jogurt, dazu Müsli und frisch gebrühter Kaffee. Danach ein wenig Aufräumen
und Saubermachen unter Deck. Im Hintergrund läuft leise Musik von George
Brassens, Jacques Brel oder Serge Gainsbourg.
Die
Sonne steigt höher. Zum Mittagessen rasch ein paar Pfannkuchen gebacken.
Später springen wir in unser Kajak und paddeln durchs kühle, türkisgrüne
Wasser hinüber zu den Klippen. Dort begrüßen uns laut zeternd ein paar
Pelikane. Weit reißen sie ihre großen orangefarbenen Schnäbel auf.
Leuchtend gelbe Finken hüpfen auf der Suche nach Futter zwischen den
Felsspalten umher. Ein Silberreiher hält stocksteif auf einem Vorsprung
Ausschau nach Beute. Wir klettern die Felsen hinauf, immer weiter. Unten
sehen wir das Schiff, wie es sanft in der Dünung schaukelt. Um uns herum
Ruhe. Nur wir zwei. Das ist Galapagos, das ist
Blauwassersegeln!
Achim
und ich genießen diese Momente, fernab jeder Zivilisation. Aber sie sind
selten, sind nicht unser Alltag und sollen es auch gar nicht sein.
Wichtiger auf unserer Reise über die Ozeane sind uns die Menschen, die
wir unterwegs treffen, die Freundschaften, die wir schließen. Zu vielen Männern
und Frauen, denen wir in den vergangenen Jahren begegnet sind, besteht der
Kontakt bis heute fort. E-Mail und Internet machen es möglich. So kommt
es, dass wir uns nie allein und verlassen vorkommen müssen. Selbst dann
nicht, wenn wir tagelang Ozeane überqueren oder in einsamen Ankerbuchten
liegen.
Gewiss,
nicht jeder Blauwassersegler will diesen Draht zur Welt aufrechterhalten.
Selbst viele Aussteiger, die lediglich für ein oder zwei Jahre dem Alltag
den Rücken kehren, möchten sich in ihrer begrenzten Auszeit häufig
vollkommen von ihrem gewohnten Leben abkapseln. Oft treffen wir auf
unseren Reisen Segler, die über die Jahre hinweg zu wahren
Menschenfeinden geworden sind. Sie sitzen auf ihren Booten und
philosophieren über Politik, schimpfen auf die Gesellschaft und auf den
so genannten technischen Fortschritt. Sie beklagen den Einzug der modernen
Welt selbst in die hintersten Ecken unseres Planeten. Als Beispiel erzählen
sie dann von der Versammlung der Stammesältesten in einem afrikanischen
Dorf, die im tiefsten Busch um einen Fernseher herum sitzen und
amerikanische Krimis schauen. Unsere Funkantennen am Heckkorb beäugen
solche Zeitgenossen stets mit tiefstem Misstrauen.
Für
meinen Teil kann ich nur sagen: Nach neun Jahren an Bord der „Pangaea“
weiß ich den Luxus moderner Kommunikationsmittel zu schätzen. Ohne sie hätte
ich es wohl nicht so lange auf einem Segelboot ausgehalten. Dabei rede ich
nicht von Hochgeschwindigkeitsverbindungen ins Internet mit Live-Videos
und Sprachübertragung. Es wird wohl noch ein paar Jahre dauern, bis
solche Hightech-Anwendungen nicht nur den Kapitänen großer Megayachten,
sondern auch Blauwasserseglern zur Verfügung stehen. Moderne
Kommunikation bedeutet für mich derzeit, mit Menschen, die mir wichtig
sind, E-Mails austauschen zu können. Denn auch, wenn wir uns mit dem
Schiff dann und wann gern meilenweit entfernt von jeder menschlichen
Ansiedlung bewegen, sind wir doch alles andere als Einzelgänger. Im
Gegenteil. Ich glaube sogar, dass mich unsere elektronische Verbindung zur
Außenwelt davor schützt, aus Mangel an Kontakten zu Freunden und Familie
verrückt zu werden. Genau wie die Rettungsleinen auf Deck mich davor
bewahren, in stürmischer See über Bord zu gehen. Dieses Bedürfnis nach
sozialen Bindungen spiegelt sich in unserer Art zu reisen wider. Wir haben
uns nicht für das Leben auf einem Schiff entschieden, um unberührte
Inseln zu entdecken. Noch weniger wollen wir uns oder anderen beweisen,
dass wir völlig auf uns allein gestellt mit den Naturgewalten fertig
werden. Wir besitzen weder den Ehrgeiz, als Erste unseren Anker in einer
traumhaften Bucht fallen zu lassen, noch müssen wir jeden Flecken Erde
gesehen haben, bevor sich McDonald’s dort niederlässt.
Wir
reisen wegen der Menschen. Unsere bewegendsten Erfahrungen haben wir meist
nicht an den Traumorten dieser Welt gemacht, sondern dort, wo wir uns dank
der Herzlichkeit der Einheimischen willkommen und häufig schon nach
kurzer Zeit zu Hause gefühlt haben. Welch eine Rolle spielt es da, ob
gleich neben dem Hafen, in dem wir unser Boot wieder einmal für längere
Zeit vertäut haben, statt grüner Palmen schwarze Fabrikschlote in den
Himmel ragen?
Aus
diesem Grund mag ich auch das Wort „Cruising“ nicht. Es klingt zu sehr
nach ziellosem Umherwandern, ohne Inhalt. Das war schon in der Zeit, bevor
Achim und ich uns begegnet sind, weder meine noch seine Art zu leben. Zwar
sind wir beide früh in die Welt hinaus gezogen, damals noch jeder für
sich. Doch nie ohne Sinn und Zweck. Achim, der aus Hamburg stammt,
organisierte zunächst Studienfahrten auf Segelbooten in Südfrankreich,
später fuhr er auf Berufsschiffen zur See und beteiligte sich auf den Färöern
an Greenpeace- Aktionen.Wenn Zeit blieb, ging er mit seinem eigenen Neun-Meter-Boot
allein auf Törns.
Ich
selbst, aufgewachsen in Kalifornien, trampte in meiner Jugendzeit kreuz
und quer durch Europa. Während dieser Jahre jobte ich als Sekretärin in
einem Künstlerzentrum in Südfrankreich, als Assistentin des Geschäftsführes
in einer Pariser Galerie und später als Aushilfslehrerin an einer
internationalen Schule in Hamburg. Fremde Länder, fremde Menschen und
ihre Kulturen zogen mich
immer schon magisch an. Daher war ich sofort Feuer und Flamme, als ich
Achim kennen lernte und er mir von seinem Plan erzählte, auf einem Boot
zu leben und zu arbeiten. Kurz darauf entdeckten wir die „Pangaea“,
eine zwölf Meter lange Ketsch. Monatelang machten wir das völlig
heruntergekommene Stahlschiff in mühevoller Arbeit fit für unser
Vorhaben. Vielleicht ist jetzt meine Abneigung gegen den Begriff
„Cruising“ verständlicher. Ich benutze den Ausdruck nur, wenn ich
keine Lust habe, Fremden langatmig zu erklären, was mir an unserer Art zu
reisen wichtig ist. Wir nehmen uns die Freiheit, sehr lange an einem Platz
zu bleiben, der uns gefällt. Wir lassen uns nicht hetzen. Da ist kein
Druck, zu einer bestimmten Zeit an einem vorher festgelegten Ort zu sein.
Die Erfahrung der vergangenen Jahre hat immer wieder gezeigt, dass unsere
eigenen Pläne meist nach kurzer Zeit Makulatur sind. In Tobago brachten
uns gute Freunde dazu, fast ein Jahr lang zu
bleiben. Wegen der Freundschaft zu einer Familie auf den Galapagos
verpassten wir gar die richtige Saison, um weiter zu den Marquesas zu
segeln. Als wir endlich dort waren, bewegten wir uns wieder vier Monate
lang kaum vom Fleck, weil wir schnell neue, enge Kontakte zu Einheimischen
bekamen. Natürlich kommt auch für uns irgendwann immer die Zeit des
Abschiednehmens. Das tut weh, gleich, ob unser Aufenthalt an einem Ort,
den wir lieb gewonnen haben, einen Monat oder ein Jahr gedauert hat. Doch
ein Trost bleibt.
Mit den
meisten Menschen, mit denen wir Freundschaft geschlossen haben, können
wir dank der Technik via Internet in Kontakt bleiben. Alles, was wir für
den Transfer unserer Nachrichten brauchen, ist ein kleines Notebook, ein
spezielles Modem und ein Kurzwellen-Funkgerät. Solarzellen versorgen die
Geräte mit Strom. Aufwändige Satellitenanlagen sind zum Glück nicht dafür
notwendig. So sind wir in der Lage, bequem in der Koje liegend Briefe zu
schreiben und zu empfangen. Das war nicht immer so. 1993 – das Jahr, in
dem wir den Atlantik überquerten – mussten wir auf den Kanarischen
Inseln mit unserem Laptop unter dem Arm noch an Land rudern, uns dort eine
Telefonzelle suchen und konnten dann mit einem inzwischen völlig
antiquierten Akustikkoppler ein Fax versenden. Die Einwohner von Hierro
haben damals angesichts unseres Tuns nicht schlecht gestaunt. Doch das ist
Vergangenheit. Heute haben wir sogar eine eigene Homepage im Internet. Wer
will, kann dort nicht nur unsere Reiseerlebnisse nachlesen. Wir stellen
auch Bilder, Ton- und Videoaufnahmen ins Netz. Von den Orten, die wir
besuchen, von den Menschen, denen wir unterwegs begegnen und von uns
selbst. Nicht aus Eitelkeit, sondern um denjenigen, die trotz der
Entfernung Anteil an unserem Leben haben, nahe zu sein. So konnten zum
Beispiel unsere Familien in Europa und in den USA schon wenige Stunden
nach der Geburt unserer Tochter im August 1999 auf Hawaii unseren
Nachwuchs via Internet sehen und hören. E-Mail und Internet schweißen
aber auch die Blauwassersegler untereinander zusammen. Den größten
Erfolg hatten wir bisher mit einer Website, auf der wir das für Segler
diskriminierende Einreiseverfahren seitens der französischen Behörden
auf Tahiti öffentlich im Internet anprangerten. Über 25 andere
Segelcrews, die über das Web von unserer Aktion erfahren hatten,
schlossen sich dem Protest an. Schließlich konnten wir sogar die Europäische
Kommission dazu bewegen, sich mit dem Fall zu beschäftigen. Ein einzelner
Segler hätte das wohl kaum geschafft.
Und
nicht zu vergessen: Die Kommunikationstechnik verleiht uns unterwegs ein
beruhigendes Gefühl. Stets wissen Dutzende von Menschen auf der Welt, wo
wir gerade stecken. Während langer Strecken senden wir ihnen täglich
unsere Position via E-Mail. Ich kann die Stecknadeln, die sich rund um den
Globus in Weltkarten bohren und unsere Reiseroute nachzeichnen, fast spüren.
Falls wir also tatsächlich einmal in Not geraten sollten, wären Helfer
binnen kürzester Zeit alarmiert und über unsere zuletzt mitgeteilte
Position in Kenntnis gesetzt.
In eine
solch ernste Situation sind wir zwar noch nicht geraten. Doch in der
Karibik haben uns unsere virtuellen Mitreisenden bereits einmal aus der
Klemme geholfen. Auf dem Weg von Florida nach Panama hatte sich nachts ein
Riss an der Befestigung des Ruderlagers gebildet. Wasser drang in den
Rumpf ein. Wir mussten so schnell wie möglich in den nächsten Hafen.
Doch wohin? Haiti, Kuba oder Jamaika? Über Internet baten wir um Rat.
Binnen weniger Stunden erhielten wir zahlreiche Auskünfte. Über die
gerade aktuellen politischen Verhältnisse in den drei Ländern, über die
Werften und die Yachtclubs vor Ort. Unsere Entscheidung fiel damals auf
den Jamaica Yacht Club in Kingston. Nicht zuletzt deshalb, weil ein Empfänger
unseres Hilferufs geantwortet hatte, dass wir in der Karnevalswoche in
Jamaika ankommen würden, einem Fest, das wir uns nicht entgehen lassen dürften.
Er hatte Recht. Zu guter Letzt leben wir von der Technik. An vielen Orten
bessern wir unsere Bordkasse auf, indem wir für Unternehmen, Künstler,
Umweltschutzorganisationen oder auch den Yachtclub, dessen Gast wir gerade
sind, Internet- Seiten programmieren. Wir sind auf diese Aufträge
angewiesen, schließlich haben wir kein Vermögen im Rücken, das uns von
ehrlicher Arbeit befreien würde. Das bedeutet aber auch, ständig mit der
technischen Entwicklung Schritt halten zu müssen, immer up to date zu
sein. Sollte uns das eines Tages nicht mehr gelingen, hoffe ich, einen
lukrativen Buchvertrag in der Tasche zu haben, von dem wir dann bequem bis
ans Ende unserer Tage leben können. Jeder hat halt so seinen Traum.
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